Die Ernährungs- und Sicherheitslage um den Tschadsee mit den angrenzenden Ländern Nigeria, Kamerun, Niger und Tschad belasten die Bevölkerung seit Jahren. Durch die Anschläge der Terrorgruppe Boko Haram wurden in der Region bereits über 2,4 Millionen Menschen gewaltsam vertrieben. Die ohnehin von Armut betroffene Bevölkerung kann weder sich noch die Vertriebenen und Flüchtlinge ausreichend versorgen. Mehr als sieben Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
In der Zeit zwischen April und August sind meist die Vorräte aus der letzten Erntesaison aufgebraucht, es ist die Zeit des Mangels. Viele Familien können diese Zeit nur mit Unterstützung überstehen. Gerade in dieser Zeit steht viel Feldarbeit an, es braucht Saatgut und Kraft, um die eingen Felder wieder bewirtschaften zu können. Die Unterstützung der Caritas Partner nimmt den Bedarf der Gemeinden sehr genau in den Blick, die Hilfen sind individuell auf die Lage der Familien abgestimmt.
Tschad: Gastgemeinden zeigen sich solidarisch
Auf der tschadischen Seite des Tschadsees suchten 2016 mehr als 124.000 Vertriebene und Flüchtlinge Schutz. Die Gastgemeinden zeigen sich sehr solidarisch: „Wir bekamen vom Dorfvorsteher Land, damit wir ein neues Leben beginnen können“, erzählt Moussa Mavo, ein sechzigjähriger Fischer, der aus Nigeria flüchtete und auf der tschadischen Seite des Sees ein neues Zuhause fand. Auch Haoua Abdoulay, die mit ihrer Familie vor der Boko Haram an den Tschadsee flüchtete, ist voll des Lobes: „Wir wurden herzlich willkommen geheißen, bekamen Matten und Stroh für unsere Hütte“.
Die Region leidet allerdings selbst unter der Situation und ist von Armut und Ernährungsunsicherheit geprägt. Die Wirtschaft ist völlig zusammengebrochen, seit die Straßen zu den ehemaligen Warenumschlagsplätzen zu gefährlich geworden sind. Wo einst jährlich bis zu 150.000 Tonnen Fisch verkauft wurden, liegt heute ein verlassener Marktplatz. „Wir sind jetzt in Sicherheit“, so Haoua Abdoulay, „aber wir haben kaum zu Essen“.
In Yekiram im Tschad, nordwestlich von Baga-Sola, hat Caritas international gemeinsam mit der lokalen Caritas ein Nothilfeprojekt initiiert, das Flüchtlinge, Vertriebene und Gastgemeinden entlastet und die Lebensbedingungen für alle verbessert. Verflgt wird eine längerfristige Perspektive. So vereilt die Caritas einerseits Nahrungsmittel, aber auch Saatgut und landwirtschaftliche Geräte, damit die Menschen Getreide und Gemüse zur Selbstversorgung anbauen und Mehrerträge verkaufen können. Der See selbst bietet mit seinen Fischvorkommen eine weitere Nahrungsquelle. Die Verteilung von Geräten für den Fischfang und Pirogen (einfache Boote) haben bereits mehreren Familien ein Einkommen gesichert. Der Bau von Brunnen verbessert den Zugang zu Trinkwasser und Bewässerung. Weiter baut Caritas Latrinen und schult die Menschen in korrektem Hygieneverhalten.
Kamerun: Ernährung verbessern und Kinder schützen
Auch in Kamerun befinden sich Hunderttausende auf der Flucht. Hier unterstützt unsere Partnerorganisation, die Caritas Maroua-Mokolo, insgesamt rund 15.000 Familien. Wir helfen den Betroffenen mit Nahrungsmitteln, Saatgut und Werkzeugen. Vor allem Frauen und Binnenvertriebene erhalten ein kleines Startkapital, um ein Einkommen erwirtschaften zu können.
In besonderem Maße unterstützt unser Partner Kinder und Jugendliche. Sie waren auf der Flucht vollkommen schutzlos und haben Schreckliches erlebt - die Caritas schult daher Lehrer und auch Eltern darin, Anzeichen von Traumatisierungen durch Gewalt oder Missbrauch zu erkennen. Sie vermittelt medizinische, psychologische und rechtliche Hilfe. Zudem werden zehn neue Schulen gebaut und zahlreiche Schulbänke, um die hohe Zahl der geflohenen Kinder unterbringen zu können. Außerdem wird für 6.000 Kinder das Schulgeld bezahlt um zu verhindern, dass ihre Eltern sie aus wirtschaftlicher Not aus der Schule nehmen.
Nigeria: Wer Saatgut hat, wird säen
Caritas international unterstützt Vertriebene, um eine reale Chance für eine friedliche Rückkehr nach der Flucht zu ermöglichen. Über die Hälfte der Vertriebenen sind Frauen und Kinder.
In einem ersten Schritt setzt die Hilfe durch Caritas international und dessen Partner (Caritas Nigeria und Catholic Relief Services Nigeria) darauf, die Ernährungslage zu stabilisieren. Derzeit erhalten Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren, die an leichter oder akuter Mangelernährung leiden, eine Diagnose und individuelle Behandlung. Sie werden von Zentren betreut, die eine Ernährung anbieten, die speziell und individuell auf sie abgestimmt ist
Bedürftige Haushalte erhalten ein Startpaket für Einkommen schaffende Aktivitäten. Dazu gehört in erster Linie der Anbau von Gemüse oder der Verkauf von selbstgekochten kleinen Zwischenmahlzeiten. Saatgut und kleinere Geräte für die Landwirtschaft gehören zu den beliebtesten Hilfsgütern - damit können die Haushalte, in denen im Durchschnitt sieben bis neun Personen leben, selber wieder Hand anlegen und im Rahmen ihrer Kräfte ihre Existenzgrundlage verbessern.
Tschadseeregion: Gemeinsam mit dem internationalen Caritas-Netzwerk
Lokale und internationale Caritasverbände unterstützen seit mehreren Monaten in Nigeria, Niger, dem Tschad und in Kamerun die Opfer der Hungerkrise und der Gewalt mit Nahrung, Wasser, Hygiene- und Haushaltsartikeln. Um die Ernährungslage der Vertriebenen, der Rückkehrer und der armen Bevölkerung zu stabilisieren, unterstützen unsere Partner aktuell 23.160 Familien - das sind rund 138.960 Personen - in Kamerun, Nigeria und Tschad. Sie erhalten für drei bis fünf Monate zwischen Mai bis August Nothilfe zur Ernährung. In Kamerun werden zusätzlich 19.000 Menschen unterstützt, um für sie Schutz und Bildungzu gewähren.
April 2019
Tschadsee - Vergessene Krisenregion
In der Region um den Tschadsee am südlichen Rand der Sahara sind nach Angaben der Uno im Jahr 2018 fast 2,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Allein in Nigeria zählt das Hilfswerk der Vereinten Nationen 1,9 Millionen Binnenvertriebene, die im Laufe eines Jahrzehnts vor der Gewalt der Islamistengruppe Boko Haram geflohen sind. Armut und der Klimawandel verschärfen die Situation.
Laut Vereinten Nationen bedürfen über acht Millionen Menschen in der Tschadregion humanitäre Hilfe. Denn über Nigeria hinaus, wo Boko Haram 2009 erstmalig gewaltsam auftrat, sind auch der Norden Kameruns und der benachbarte Tschad betroffen. 6,7 Millionen Menschen sind in der Region unterernährt, davon 4,7 Millionen Kinder. Die Krise in Nordostnigeria und den angrenzenden Ländern wurde in einer Untersuchung von der internationalen Nachrichtenagentur Reuters im Dezember 2016 als die am meisten vernachlässigte humanitäre Krise weltweit bezeichnet.
Viele Vertriebene leben am Stadtrand der Provinzhauptstadt Maiduguri (Nigeria), die durch den Zuzug der Vertriebenen ihre Einwohnerzahl verdoppelt hat. In Nordkamerun leben zahlreiche Vertriebene in der Stadt Marua.
Internationale Geberkonferenz 2018 - Tschadsee-Region
Mehr als 2,1 Milliarden Euro Hilfsgelder haben die Teilnehmer der internationalen Geberkonferenz im September 2018 in Berlin für die afrikanische Tschadsee-Region zugesagt. Auf Einladung des Auswärtigen Amtes wurde ein Teil der Veranstaltung von Caritas international mitorganisiert. Hier tauschte sich die Zivilgesellschaft mit den Repräsentanten internationaler Organisationen über die Situation aus. Zur Konferenz reisten unter anderem Caritas-Partner aus dem Tschad, Kamerun und Nigeria an.
Sicherheitslage Nigeria (Nordosten)
Anschläge im Projektgebiet in Nordnigeria verschärften sich im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2019. Sie erschweren und gefährden die Arbeit in der Region. Anfang Februar evakuierte Caritas Nigeria Personal für zehn Tage aus der Region. Wegen des erhöhten Sicherheitsrisikos arbeitet ein Teil des Personals von wechselnden Standorten aus. Von Januar bis Anfang April 2019 wurden im Nordosten Nigerias erneut 27.700 Menschen vertrieben. (Quelle: IDMC Report Ticker)
Sicherheitslage Nordkamerun
Mitglieder der Boko Haram gehen vor allem nachts in die kamerunischen Dörfer entlang der nigerianischen Grenze. Zwischen Oktober und Dezember 2018 wurden zahlreiche Dörfer angegriffen, Zivilisten und Mitglieder der lokalen Selbstverteidigungsgruppen verletzt, entführt oder ermordet. Sehr häufig bemächtigen sich die Boko Haram Kämpfer auch der Ernten der Bauern. Von Januar bis Anfang April 2019 wurden in Nordkamerun erneut 2.690 Menschen vertrieben. (Quelle: IDMC Report Ticker)
Sicherheitslage Tschad
Mehrere Überfälle Ende September 2018 führten dazu, dass sechs Hilfsorganisationen die Arbeit am Tschadsee aussetzten. Die Boko-Haram-Fraktion ISWAP ist verantwortlich für verstärkte Angriffe auch auf tschadischer Seite. Opfer sind Militärs und Zivilisten. Das tschadische Regime musste wegen sich wieder formierenden Rebellionen im Norden und Nordosten Militär aus der Tschadseeregion abziehen. Unser Partner Caritas Tschad führte seine Arbeit fort, da das Sicherheitsrisiko für sie als integrierte Partner von vor Ort tragbar ist.
aktualisiert im Juni 2019